Gaston Goes

sdruccioli giuseppeHerkunft
Adinkerke, Belgien

Geburtsjahr
1922

In der EIBIA
Zwangsarbeiter
10/1943 bis 04/1945
zwangsrekrutiert
untergebracht im Lager Nonnenwald

kehrte nach Kriegsende in seine Heimat zurück

 

 

 

 

Quelle: 25 Monate Zwangsarbeit und kein Erbarmen?
In: Thorsten Neubert-Preine: Zwangsarbeit in Bomlitz. Berichte von ausländischen Arbeitskräften der EIBIA GmbH für chemische Produke Bomlitz. Bomlitz 2005.

"Zunächst will ich Ihnen mitteilen, dass wir in Benefeld keinen einzigen Kontakt mit Kriegsgefangenen hatten. Wir wussten, dass es ein Kriegsgefangenenlager in der Umgebung von Fallingbostel gab, mit überwiegend französischen und einigen französisch sprechenden belgischen Gefangenen. In der EIBIA, Bereich Pressen–Walzen, wo ich gearbeitet habe, sind nie Kriegsgefangene gewesen, ausgenommen [...] (10 oder 12 Mann) [...] italienische Kriegsgefangene [die so genannten Badoglios] für einige Wochen. Sie wurden viel handfester angepackt als wir.

Wo wohnten Sie?

Jeder ausländische, weibliche und männliche Arbeiter wurde im Lager Nonnenwald untergebracht. Da gab es eine besondere Abteilung für die weiblichen Arbeiter (Franzosen, Polen, Russen). Die männlichen Arbeiter wurden nach Nationalitäten getrennt in derselben Baracke untergebracht, aber es wurde kein Unterschied zwischen Freiwilligen und Zwangsarbeitern gemacht. Das ist dann auch nie ein Problem gewesen.

Im Lager Nonnenwald waren alle Baracken aus Holz, einfach aber nett. Jede Baracke war unterteilt in eine Wohnstube, ein Schlafraum, ein Waschplatz, Toilette. Es gab fließend Wasser und es wurde mit einem Kohleofen geheizt. Jeder hatte einen kleinen Schrank mit Schlüssel, um Esswaren zu schützen.

In der Stube wurde streng auf Disziplin geachtet. Der Stubenälteste war für die gute Ordnung verantwortlich. Er sorgte für die Essenkarten, Seife, Toilettenpapier usw. [...] Ich denke, dass 12 bis 14 Personen in einer Baracke waren und das Lager Nonnenwald wenigstens 50 Baracken hatte. Ich selber wohnte in Stube Nr. 45. Lager Nonnenwald und Lohheide hatten eine Umzäunung, aber das Tor war nie geschlossen. Es gab keine Bewachung. Bei einem Verbrechen, Diebstahl oder Streit, kam der Lagerführer und wenn nötig der Feldgendarm. Aber Letztgenannten habe ich da nicht oft gesehen. Lohheide [Süd] war wie das Lager Nonnenwald, aber in Lohheide waren die Häuser aus Stein. Jede Stube hatte einen Lautsprecher in Verbindung mit dem Büro der Lagerleitung. So hörten wir die Kriegsnachrichten, Musik und Fliegeralarmmeldungen. So wohnte ich von Mitte Oktober 1943 bis Mitte Februar 1944 im Lager Nonnenwald und von Mitte Februar 1944 bis Ende April 1945 in Lohheide [Süd].

Gegen Ende des Krieges, im Herbst 1944 ist in Benefeld ein kleines Judenlager [Lager Sandberg] gebaut worden, 4 oder 5 Baracken mit wahrscheinlich 80 bis 100 Personen, alles Frauen und junge Mädchen, die in der EIBIA arbeiten mussten. Sie trugen Gefängniskleidung, der Kopf war kahl rasiert, einige hatten eine Mütze, denn der Winter 1944/45 war sehr streng. Sie wurden durch weibliche deutsche Soldaten bewacht [...], die keine Pistolen, aber eine Peitsche hatten. [...]

Wie waren Ihre täglichen Arbeitszeiten?

Die täglichen Arbeitszeiten waren so unterteilt:

Frühschicht: 6.45 bis 15.45 - 9 Std.
Spätschicht: 15.45 bis 23.45 - 8 Std.
Nachtschicht: 23.45 bis 6.45 - 7 Std.

Wir arbeiteten immer 6 Tage auf 7, aber sehr oft auch 7 auf 7. Nach jeder Offensive, sei es Herbst-, Winter- oder Sommeroffensive war der Vorrat an Sprengstoff verbraucht. Dann war vier Wochen arbeiten ohne Unterbrechung keine Ausnahme. Aber Weihnachten oder Neujahr hatten wir 2 oder 3 Tage frei. Leider konnte man einen Tag davon abwechselnd zur Feuerwache in der Fabrik eingeteilt werden.

Hatten Sie Freizeit und was haben Sie dann gemacht?

Es gab wenig Freizeit. Abgesehen von dem ständigen Druck der Arbeitswoche, mussten wir noch die Baracke und unsere eigene Wäsche sauber halten, die Arbeitsbekleidung wiederherstellen usw. Wir Flamen, Holländer und Franzosen waren gegenüber den Russen etwas begünstigt. Wenn wir mit der Arbeit in der Fabrik fertig waren, hatten wir frei und konnten machen, was wir wollten. Die Russen dagegen mussten abwechselnd noch [zusätzliche] Arbeiten im Lager machen (1 bis 2 Stunden), meistens in der Kantine.

Zweimal gab es einen Kameradschaftsabend für die Flamen. Da gingen wir alle hin, wegen des guten Essens, das wir da erhielten. Menü: Suppe, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, Dessert, Kaffee oder Bier – Musik, Film, Witze. Aber das alles war durchwoben mit Propaganda für die Waffen-SS Langemark, der flämischen Abteilung der deutschen Waffen-SS. [...]

Was bekamen Sie zu essen?

Jede Woche erhielten wir eine Essenkarte. Sie beinhaltete das Brot, Fleisch, Butter, Zucker, Marmelade und 7 Gutscheine für Mittagessen. Wieviel Brot wir bekamen, weiß ich nicht mehr genau, vermutlich 2 x 400 oder 500 g am Montag und Donnerstag. Brot war immer da, im Gegensatz zu den übrigen Produkten, die zum Ende des Krieges selten waren. Auch das Mittagessen wurde am Ende ärmlicher, 2 x Kartoffeln mit Fleisch und Gemüse, sowie 5 x einen großen Kochlöffel dicker Kohlsuppe. Glücklicherweise hat mir meine Familie sehr gut geholfen, indem sie mir monatlich ein Paket schickte – Mehl, weiße Bohnen, Nudeln, Tabak, Kleidung usw. Tabak war das ideale Tauschmittel. Jedes Paket war drei bis vier Wochen unterwegs. Damals war Essen natürlich das wichtigste Element in unserem Leben. [...]

Wieviel Lohn bekamen Sie?

Der Lohnsatz in der EIBIA-Abteilung „Pressen“ war wie folgt:

Basislohn 60 Pfg.
Ermutigungsprämie 16 Pfg.
Gefahrenzulage 12 Pfg.
---------
88 Pfg. pro Stunde

Jeden Monat arbeiteten wir durchschnittlich 200 Stunden und verdienten so 176 RM. Davon wurden 50 bis 60 RM einbehalten für verschiedene Kosten – Bettwäsche, Waschpulver, Kasten Steinkohle für die Heizung, Barackensteuer usw.

Unser Essen mussten wir dann noch selbst bezahlen. Doch konnte ich bis Ende Juli 1944 alle zwei Monate 100 bis 150 RM an meine Eltern schicken. Später war das nicht mehr möglich, weil der Kontakt mit Belgien abbrach.

Hatten Sie jemals Urlaub?

Die Urlaubsregelung war wie folgt:

Verheiratete Arbeiter - 12 Tage für 6 Monate
Unverheiratete Arbeiter - 12 Tage für 12 Monate

Für den Urlaub war ein Bürge erforderlich.

Ich habe während meines Aufenthalts nie einen Tag Urlaub bekommen, und ich bin bei weitem nicht der einzige. Sehr viele, besonders Unverheiratete, wie ich, haben nie Urlaub bekommen.

Im April 1944 war ich 12 Monate bei der EIBIA tätig gewesen, doch da war die Urlaubsregelung [bereits] ausgesetzt; im Mai noch immer. Im Juni 1944 fand die Landung in der Normandie statt und von da an war keine Rede mehr von Urlaub.

Wie sind Sie im Mai 1945 wieder nach Hause gekommen?

Die Rückfahrt war ärmlich. Zunächst wurde sich um die Kriegsgefangenen gekümmert, mit Recht, denn viele waren 4 Jahre gefangen gewesen. nach Ankunft der englischen Truppen sind wir noch etwa 10 Tage im Lager geblieben. Einige Arbeiter versuchten zu Fuß fortzugehen, aber das war nicht möglich. Viele waren nach einigen Tagen wieder zurück im Lager.

Endlich wurden wir mit englischen Militärlastkraftwagen zur holländischen Grenze gebracht, aber mehr als 40 bis 50 km am Tag war nicht zu schaffen. Dann wurden wir in dem einen oder anderen Dorf abgesetzt, meistens in einem Schulzimmer. Die Lesepulte gegen die Wand und etwas Stroh auf den Boden, so konnten wir übernachten. Der verantwortliche Bürgermeister musste für das Essen sorgen. Obwohl sich der Mann einsetzte, war es meistens nicht möglich, für 60 bis 70 Personen Essen zu beschaffen. Nahe der deutsch-holländischen Grenze wurden wir noch einmal in einem Lager gegen Läuse desinfiziert.

Von Eindhoven (Holland) sind wir weiter mit dem Zug nach Belgien. In Mol (bei Antwerpen) wurden wir wieder eingesperrt in ein Kolleg, um der Staatssicherheit vorgeführt zu werden. Wenn alles in Ordnung war erhielten wir freies Geleit und 20 BF [belgische France], gerade genug, um ein paar Kuchen in einer Bäckerei zu kaufen.

Damals wohnte ich in Adinkerke, das ist das westlichste Dorf in Belgien an der belgisch-französischen Grenze, etwa 12 km von Dunkirchen. Am Abend des 8. Mai 1945, gegen 22.30 Uhr kam ich wieder in meine Heimat, allein, ausgehungert. Da wir durch die Kriegswirren der letzten 9 Monate keinen Kontakt mehr gehabt hatten, wusste ich nicht, ob meine Eltern und Familie noch am Leben waren.

Gott sei Dank, jawohl.

Emotionale Bilder, sehr große Freude, unaussprechlich einander zu erzählen. Am nächsten Tag habe ich in den hellen Tag hinein geschlafen, gutes Essen bekommen und Familienbesuche gemacht. Zwei Tage später habe ich wieder an meinem früheren Arbeitsplatz im Telegrafenamt angefangen. Ich war mehr geistig zerrüttet als körperlich.

Und wenn das alles nicht genug war, kann ich noch folgendes schreiben:

25 Monate Zwangsarbeit und kein Erbarmen.
Nein.

Bis Anfang Mai 1945 (Ende des Krieges) war ich in Deutschland. Ende November 1945 kam ich zurück nach Deutschland, aber dann in Soldatenuniform, mit einem Gewehr oder einem Schnellfeuergewehr an der Schulter, wehrpflichtig, kein Freiwilliger. Wir waren kaserniert in Siegburg (bei Bonn), nicht in Siegen, wo später die belgische Armee stationiert war.

Die Militärzeit: 26 Juni 1945 bis 16 Juli 1946 – 1 Jahr und 21 Tage.

Übersicht über das Alltagsleben in der Presserei und in der Baracke

Jeder Pressen-Bunker (20 x 22 m breit, halb oberirdisch, halb unterirdisch) hatte 4 Pressen, bemannt durch einen Pressenfüller und zwei Schneider(innen), so waren die Frauen immer in der Mehrheit, 8 Frauen und 4 Männer. Die Arbeit war nicht nur gefährlich (Sprengstoff), sondern auch sehr ungesund. Jedermann hat Salpeter- und Magnesiumdämpfe eingeatmet. Schwangere Frauen konnten während der Arbeitszeit für eine ultraviolette Bestrahlung in das Betriebslazarett gehen. An jedem Arbeitstag hatten wir Anspruch auf 1/4 Liter Vollmilch, aber da ist nicht viel von ins Haus gekommen. Glücklicherweise sind auf die EIBIA nie Bomben gefallen, obschon während der vielen Fliegeralarme die Fabrik nie stillgelegt wurde und hier und da doch etwas Sprengstoff mit einer Stichflamme entbrannte.

Reichlich ein Jahr habe ich mit einem ukrainischen Mädchen zusammengearbeitet – Maria Galuchka – und einem deutschen Mädchen – Erna Grother – sie war aus der Umgebung von Buxtehude. Das Einverständnis war prima.

Einige Vorfälle aus dem Leben in unserer Baracke

1. Ein Sterbefall – ein Mann, ca. 50 Jahre, Vater von 6 Kindern, starb an „Verschwärung“ [Tbc] im Krankenhaus Walsrode.

2. Ein schwerer Arbeitsunfall – ein junger Mann, ca. 20 Jahre schwer verbrannt am Kopf und Oberkörper durch das Verbrennen eines Sprengstofffells – 30 kg – in der Walze.

3. Eine Selbstverstümmelung – ein mutloser Mann, ca. 30 Jahre, sticht seine linke Hand in eine drehende Maschine; Fingerspitzen des Mittel- und Zeigefingers weg.

4. Kameradschaftsabend für Flamen, 26. Juni 1944, mein allerbester Freund, ratlos, meldet sich bei der Waffen-SS-Langemark (die amerikanischen und englischen Truppen sind am 6. Juni in der Normandie gelandet!). Er hat noch gekämpft an der Ostfront. Er hat glücklich alles überlebt, aber nach dem Krieg wurde er in Belgien schwer bestraft.

Die schwerste Zeit kam bis Mitte Dezember 1944. Seit [...] August waren alle Kontakte mit der Heimat verboten, keine Briefe und Pakete. In Belgien war der Krieg vorüber. Bei uns dauerte es noch 9 Monate [sic!, 8]. ir hofften auf ein schnelles Ende, aber im Oktober/November stagnierten die militärischen Aktivitäten und Mitte Dezember kam die Ardennen- Offensive (auch von Rundstedt-Offensive genannt). Die deutschen Truppen stießen durch (eigenartig) bis Celles bei Dinant. Psychisch brachen wir ein, totaler Kummer, Verzweiflung, wir klagten nicht einmal mehr. Natürlich änderte sich unser Zustand im Frühjahr 1945 in Folge des militärischen Zustands.

Auch die Dramen, die sich an der Heimatfront abgespielt haben, mögen nicht vergessen werden. Jetzt begreife ich, wie oft meine Mutter geweint haben muss. Jedesmal habe ich in meinen Briefen geschrieben: Liebe Mutter und Vater, nach 8 – 10 –12 – 14 Monaten nach der Wegführung möchte ich doch so gerne einmal nach Hause kommen. Wann hat das alles ein Ende? Des Weiteren verursachte das unaufhörliche Bombardement auf Deutschland eine große Unruhe in unseren Familien. Auch meine Brüder und Schwager sind weggeführt worden. In Belgien bekommt ein anerkannter Zwangsarbeiter einen Zins, für mich, bei 4 Semestern Wegführung, ergibt das 2000 BEF = 100 DM pro Trimester.

Schlussbemerkungen

Zwangsarbeit ist erniedrigend für jeden Menschen. Heute kann man sich nur noch schwer den Umfang der Dramen vorstellen, die sich damals abgespielt haben, ebenso wenig die erbärmlichen Umstände, in denen die Zwangsarbeiter zurechtkommen mussten, gefolgt von der unverschämten Entziehung aus ihren Familien und dem normalen Leben.

Die meisten Arbeiter waren jung (19-25 Jahre) und noch wenig bis überhaupt nicht von zu Hause weg gewesen (so wie ich). [...]

Was man jedem Arbeiter angetan hat, Kummer, Heimweh, Verzweiflung, um nicht vom Hunger zu sprechen, hat uns Schmerzen bereitet [...].

Und jetzt, wie sehen wir das alles? Die Zeit hat viele Wunden geheilt. Bis Ende der sechziger Jahre hatte ich ab und zu Alpträume, in denen ich meine Wegführung wiedererlebte und mich ängstlich fragte: Muss ich jetzt zurück nach Deutschland? Verschwitzt wurde ich dann wach. Einmal 1974 fragte mich eine deutsche Frau: Fühlen sie Hass gegen uns? Antwort: Nein, absolut nicht.

Ich habe viele integre und verständnisvolle Deutsche Frauen und Männer gekannt. Das ist nicht allein meine Meinung, sondern auch die der übergroßen Mehrheit der Zwangsarbeiter. Auch die Belgische Nationale Vereinigung der Zwangsarbeiter predigt weder Hass noch Bitterkeit."

 

Goes Gaston verstarb im März 2003.

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