Frühe Frauen-WG im Cordinger Müllerhaus

08/2023 - Als die Dienstmagd Marie Dorothee Stechkämper ihre Tochter Frieda 1885 auf die Welt brachte, war sie bereits Witwe. Ihr Mann Johann Friedrich, mit dem sie auf einem Hof in Ebbingen lebte, starb im März 1885 mit 35 Jahren. Da das Mietverhältnis für das Häuslingshaus aber nur für den Mann galt, war die 27-jährige Schwangere auf einen Schlag obdachlos. Ihr Kind, das ohne Vater unehelich war, kam schließlich im Cordinger Müllerhaus zur Welt. Müllerwitwe Magdalene Heino hatte die werdende Mutter aufgenommen.

Seit 1877 war Magdalene Heino allein mit ihren Knechten und Mägden auf dem Cordinger Mühlenhof. Ihr Mann Heinrich Wilhelm starb im Alter von 46 Jahren an Typhus. Durch den Ehevertrag der beiden hatte sie - anders als nach allgemeiner Gesetzeslage - alle Verfügungsrechte an ihrem Erbe. So konnte sie 24 Jahre lang allein den großen Hof führen, ohne erneut heiraten oder verkaufen zu müssen. Und da die beiden Töchter bereits als Kleinkinder verstorben waren, lebte Magdalene Heino in dieser Zeit auch allein und ohne eigene Familie im Müllerhaus, das in dieser Zeit als "hochherrschaftlich" galt. Erst 1901 verkaufte sie den gesamten Hof, um sich mit ihrem Altenteil zur Ruhe zu setzen.

Marie Dorothee Stechkämper hatte bereits in der Vergangenheit auf dem Mühlenhof gearbeitet, und vielleicht waren die beiden Frauen freundschaftlich verbunden. Auf jeden Fall muss die Witwe Heino von der Not und der drohenden Obdachlosigkeit erfahren haben, die die werdende Mutter ins Armenhaus gebracht hätte. Auf jeden Fall ließ sie sie im Müllerhaus einziehen. Und als die Schwiegermutter von Marie Dorothee Stechkämper nach dem Tod ihres Mannes die gleiche Wohnungsnot hatte, fand auch sie eine Unterkunft bei der Gutsfrau Heino. Nach der Geburt der kleinen Frieda lebten nun vier Frauen aus drei Generationen unter einem Dach - eine frühe "Frauen-WG", getragen von Witwensolidarität.

Auch wenn Näheres nicht bekannt ist, war es sicherlich eine Win-Win-Situation: Endlich war es wieder lebendig im Müllerhaus. Und Frieda, ihre Mutter und ihre Oma hatten ein Dach über dem Kopf.

Mindestens die junge Mutter und ihre Tochter zogen sehr wahrscheinlich im Sommer 1886 wieder aus, als Marie Dorothee Stechkämper den verwitweten Arbeiter Heinrich Schrader aus Bomlitz heiratete. Die kleine Frieda, die im Müllerhaus auf die Welt kam, bekam 1910 ihrerseits mit ihrem Mann Hermann Prange eine Tochter, die erst 1998 verstarb. Und vielleicht gibt es noch heute bei einigen Nachfahren die Familienlegende von der "Frauen-WG" an der Cordinger Mühle.

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.