Letzter Teil unseres Episodenkrimis

01/2021 - Der diesjährige Kurzkrimiwettbewerb von Paulus-Kirchengemeinde Bomlitz und FORUM ist wegen der Corona-Seuche vorgezogen. Lenken Sie sich zuhause mit Krimischreiben ab und senden Sie uns Ihren Beitrag bis zum 07.02.2021! Unser Thema diesmal ist das Kloster Walsrode, mehr finden Sie auf dieser Website vier Artikel tiefer. Als Appetitanreger präsentieren wir Ihnen hier den Gewinnerbeitrag zum Wettbewerb 2013 als Episodenkrimi in allen vier Teilen.

„Nachts im Pfarrhaus“

von Kerstin Michel

An diesem Abend hatten sie lange im ortsbekannten Restaurant beisammengesessen und große Pläne geschmiedet: Die Pastorin und noch so einige andere Leute. Nun eilten sie davon, jeder in Richtung des eigenen Hauses.

Als die Pastorin vor dem Pfarrhaus mit ihrem Fahrrad anhielt, rauschten die Bäume am Rand des Friedhofs bedrohlich. Fragten nicht immer alle, ob es nicht einsam und unheimlich sei, so direkt neben dem Friedhof? Sie griff nach ihrem Schlüssel und sah sich um, denn heute Nacht schien irgendetwas anders zu sein als sonst …

Die Grillen zirpten nicht. Auch die Eule machte sich nicht wie sonst bemerkbar. Aber war es das? In der Ferne bellte ein Hund. Neben ihr raschelte es. Sie sah über die Friedhofsmauer und erblickte zwei rote Augen, die sie direkt anschauten. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück und ließ vor Schreck den Schlüssel fallen. „Beruhige dich“, sagte sie sich tief durchatmend, „sei rational, es gibt für alles eine Erklärung“. Was sie sah, waren zwei kleine rote Grablichter, die auf dem frischen Grab von Peter Huber standen, der gestern Nachmittag beigesetzt worden war. Im Schein des zunehmenden Halbmondes sah sie die Kränze auf seinem Grab liegen. Es waren drei an der Zahl gewesen. Peter war sehr schrullig gewesen und hatte keine weiteren Angehörigen gehabt. Einen Kranz hatte seine Nachbarin beigelegt, einen anderen sein Betreuer. Woher der dritte kam, war nicht bekannt. Sie hatte mit dem Bestatter vereinbart, die Kränze in einer bestimmten Art und Weise auf das Grab zu legen, damit es voller aussah. Armer Peter. Er war im Alter von nur 52 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Woran genau, wusste sie nicht. Er war auch kein regelmäßiger Kirchgänger, sie kannte ihn nur flüchtig. Und trotzdem war er ihr sympathisch gewesen. Die Glocke schlug 23:30 Uhr.

Sie lehnte ihr Fahrrad an die Wand, hob den Schlüsselbund auf und schloss es an. Dann fiel es ihr auf. Das Licht im Pfarrhaus brannte nicht. Sie hatte es allerdings eingeschaltet gelassen, als sie das Haus am späten Nachmittag verlassen hatte. Es gab in letzter Zeit viele Einbrüche und Brandstiftungen in der Gegend. Autos wurden angezündet, Mülltonnen, Carports... Die Täter hatte man noch nicht gefasst. Selbst im benachbarten Bad Fallingbostel wurde gezündelt. Sie hielt es deshalb für besser, das Haus möglichst bewohnt erscheinen zu lassen. Nicht, dass es jemand wagen würde, in ein Haus Gottes einzubrechen, aber sicher war sicher. In heutigen Zeiten war einigen Menschen einfach nichts mehr heilig. Und sie wohnte allein. Das war bekannt. Und sie wohnte in einer Gegend, in der sie niemand schreien hören würde. Das war ihr bewusst.

----- TEIL 2 -----

An ihrem Schlüsselbund hatte sie eine kleine Taschenlampe, die sie als Werbegeschenk ihrer Bank bekommen hatte. Am Weltspartag. Nun stellte sie sich als nützlich heraus. Kostenlos, aber nicht umsonst.

Sie ging Richtung Haustür, leuchtet das Schloss aus und steckte den Schlüssel ins Schloss und schloss auf. In dem Moment, in dem sie eintreten wollte, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, die Mülltonne hinauszustellen. Sie hielt einen Moment inne und ging um die Ecke. Unter einem lauten Rattern rollte sie die stinkende Tonne hervor und stellte sie hin. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie, dass die Tür ein Stück offenstand. Sie musste sich durch den Wind geöffnet haben. Oder? Langsamen Schrittes ging sie ins Haus. Sie tastete sich mit der linken Hand an der Innenwand hinter der Tür entlang und suchte den Lichtschalter. Sie fand ihn und drückte ihn herunter. Nichts geschah. Sie drückte ihn hoch. Nichts geschah. Sie wiederholte das Ganze noch ein paar Mal und gab resigniert auf. Vermutlich war nur die Glühlampe durchgebrannt. Eine der letzten im Haus. Sie hatte größtenteils schon auf Energiesparlampen umgestellt. Nur eben im Flur nicht. Sie ging hinein und schloss die Tür hinter sich. Da knarrte der Fußboden. Diese teuflischen alten Holzdielen. Sie erschreckte sich jedes Mal, wenn sie drauftrat. Doch dieses Mal kam das Knarren nicht aus dem Flur. Es kam aus dem Wohnzimmer. Sie leuchtet mit der kleinen LED-Lampe an ihrem Schlüssel Richtung Wohnzimmer, die Tür war leicht geöffnet. Das Mondlicht schien leicht durch das Flurfenster. Es war hell genug, um die Tür zu erkennen, aber zu dunkel, um mehr zu erkennen. Sie atmete erneut tief durch. Schnellen Schrittes ging sie Richtung Küche und wollte das Licht dort einschalten. Doch auch dort passierte nichts. Schalter runter. Nichts. Schalter hoch. Wieder nichts. War es doch nicht die Glühlampe? War die Sicherung rausgesprungen? „Jetzt eine Erleuchtung“, schmunzelte sie vor sich hin. Halb verunsichert, halb genervt. In dem Moment hörte sie Schritte im Wohnzimmer. Sie kamen auf sie zu. Die Tür öffnete sich langsam und die Dielen knarrten. Sie drehte sich erschrocken um, griff zum Obstschäler und hielt beides Richtung Flurtür. Doch sie sah nichts. Die Schritte kamen näher. Und sie sah noch immer nichts. Jemand berührte ihr Bein. Sie schrie auf.

Walter Hobusch ging Richtung Pfarrhaus. Anders als sonst war es nicht erleuchtet. Seltsam. Wenn Carola abends noch ausging, ließ sie für gewöhnlich das Licht an. Damit es bewohnt aussah. Wegen der vielen Einbrüche und Brandstiftungen in den letzten Monaten. Selbst im Schriebers Hof hatten sie ihr Unwesen getrieben. Er schüttelte innerlich den Kopf. Die Laternen waren schon ausgeschaltet, die Gemeinde musste sparen. Wie überall. Deshalb wurden die Nebenwege bereits 23 Uhr nicht mehr beleuchtet. „Benutzung auf eigene Gefahr“, stand es auf Schildern geschrieben. „Schönen Dank auch“, knurrte er.

----- TEIL 3 -----

Walter war übergewichtig und jeder Schritt strengte ihn an. Er schnaufte. Er war keine 30 mehr und jünger wird man ja auch nicht, sagte er sich. Die Straße könnte auch mal asphaltiert werden, dann würde es nicht so stauben. Aber woran haperte es mal wieder? Am lieben Geld. Wie ... Ein Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Wo kam das her? War das ein Frauenschrei? War das etwa Carola? Seine Schritte wurden schneller, als er auf das Haus zuging. Plötzlich verspürte er einen Schlag in den Unterleib. Er stöhnte auf und konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten. Er fiel hin und fand sich auf dem staubigen Boden wieder. Walter hatte die Mülltonne übersehen und war dagegen gelaufen. Dabei kippte die Tonne um und Walter fiel irgendwie darüber. Mitten in den stinkenden Müll.

Seine Laune hob sich dadurch nicht. Für einen kurzen Augenblick vergaß er sogar, was er eben gehört hatte. Als er sich mühsam wieder hochgerappelt hatte, wischte er angetrocknete Gurkenschalen, Salatreste, verdorbene Fleischstücke und allerlei andere stinkende Reste von seinen Hosen und ging humpelnd weiter. Fast wäre er dabei noch über eine Bananenschale gestolpert. Natürlich war es die Biotonne gewesen. Was auch sonst. Und natürlich musste es die berühmte Bananenschale sein, wie klischeehaft.

Als er die Tür erreicht hatte, drückte er die Klingel. Das Haus war immer noch dunkel. Die Klingel funktionierte nicht. Also klopfte er. Niemand reagierte. Er klopfte noch mal. Nichts passierte. Plötzlich hörte er im Haus die Dielen knarren. Und Geräusche. Er ging neben die Haustür und sah Carolas Fahrrad an der Wand lehnen. Sie musste also zu Hause sein. Er überlegte kurz. Wenn sie zu Hause war, warum öffnete sie dann nicht? Er drehte sich um und wollte durch das Fenster schauen. Der Mondschein schien leicht hinein. Er konnte die Tür zum Wohnzimmer sehen. Die Tür war leicht geöffnet. Hinter ihm raschelte es. Er drehte sich blitzschnell um und - sah nichts. Es war einfach zu dunkel. Er atmete tief durch. Er drehte sich wieder um und blickte in zwei weit aufgerissene Augen, die ihn durch die Scheibe anstarrten.

----- Teil 4  -----

Es war die Katze gewesen, die Carolas Bein gestreift hatte. Sie musste die Gunst der Stunde genutzt haben und war ins Haus geschlichen, als sie die Mülltonne an die Straße gestellt hatte. Nachdem sie „Oscar“ kurz gestreichelt hatte, ging sie den Flur entlang Richtung Sicherungsschalter. Die kleine LED-Lampe wurde schwächer. Die Batterien waren offenbar auch nicht mehr die neusten. Schließlich gaben sie ihren Geist auf. Sie musste sich deshalb so an der Wand entlang tasten.

Da hörte sie ein Geräusch. Es kam von vorn. Sie konnte nicht genau deuten, was es war, aber es war ein dumpfes Scheppern. Hatte jemand die Tür aufgebrochen? Das Fenster eingeschlagen? Die werden doch wohl nicht? Es war nichts mehr zu hören. Sie fasste all ihren Mut zusammen und tastete sich Richtung Wohnungstür vor. Sie blickte durch das Fenster und - sah in ein Gesicht. Sie drehte sich schnell mit dem Rücken zur Tür und schluckte. „Carola?!“, rief eine Stimme. Sie erkannte Walters Stimme und atmete tief durch. Sie schaute erneut durch das Fenster und sah ihn vor sich stehen. Sie öffnete die Tür.

„Hier, du hast Deine Brille liegen lassen“, sagte er und überreichte ihr das Etui. „Du brauchst sie doch“. Ja, das stimmte. Sie hatte morgen eine Taufe durchzuführen und benötigte diese sogar sehr, weil sie weitsichtig war. „Ach, danke schön“, entgegnete sie ihm. „Walter, du hast nicht zufällig eine Taschenlampe dabei? ...Wonach riechst du eigentlich?“. „Ach, dumme Geschichte. Nein habe ich nicht. Ist die Sicherung durchgebrannt?“ „Ja, ich glaube.“

Walter half Carola, die Sicherung wieder einzuschalten. Die Lampen in der Küche und im Flur erhellten sich. Und es ward Licht im Haus. Walter verabschiedete sich und machte sich wieder auf den Heimweg, der Tonne wich er im Schein der Außenlampe dieses Mal jedoch aus.

Carola zog ihre Jacke aus und ging ins Badezimmer. Nachdem sie sich gewaschen hatte, putzte sie ihre Zähne. Im Nebenzimmer schimpften die Wellensittiche lautstark vor sich her. Scheinbar grundlos. Leicht genervt von dem Lärm schlüpfte sie in ihr Nachthemd, kämmte sich noch kurz die Haare und ging Richtung Schlafzimmer. Im Flur sah sie, dass die Haustür offenstand. Sie stutzte und runzelte ihre Stirn. Dann ging das Licht aus. Ein Schrei erfüllte die Nacht. Dann wurde es still und die Haustür klappte langsam zu. Die Kirchturmuhr schlug in diesem Moment Mitternacht.

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