Nicht nur Beschreibung, sondern ein Erlebnis

05/2021 - Dass Arno Schmidt zu den wichtigen und wertvollen deutschsprachigen Schriftstellern gehört, ist keine neue Erkenntnis. Bei einer FORUM-Führung ging es durch Benefeld, und Arno Schmidt kam an Originalschauplätzen über Zitate selbst zu Wort. Mit seiner Sprache beschreibt er nicht nur, sondern ermöglicht es seinen Leserinnen und Lesern, die Situationen zu erleben. Ein Talent, das auch in der Weltlitatur in dieser Form selten ist.

So bricht der Protagonist in der Novelle "Schwarze Spiegel" auf der Suche nach Lebensmitteln z.B. in der Benefelder Uferstraße 2 ein und findet eine Kaffeedose: "Der Kaffee war längst verduftet", stellt er fest. Mit Wortspielereien und Doppeldeutigkeiten solcher Art, Lautmalereien und virtuosem Gebrauch der deutschen Sprache zeichnet sich Arno Schmidt aus. Das macht es dem Leser oft nicht einfach. Hat man sich allerdings eingelesen, bekommt man ein Leseerlebnis, das man nur selten bei anderen Autoren bekommt. "Man fühlt sich erst etwas hilflos, weil man nicht sofort weiß, was gemeint ist", meint Torsten Kleiber vom FORUM. "Aber sobald man den Dreh 'raus hat, wird man selbst sensibler für die vielen Möglichkeiten, die mit der Sprache genutzt werden können."

Schmidt gestaltet expressionistisch: Er muss nicht konkret werden, er zieht die Leser in die Situation und macht sie für sie erlebbar. Besonders eindrucksvoll ist ihm das gelungen bei einem fiktiven Bombenangriff auf die damalige EIBIA in "Aus dem Leben eines Fauns". Diffus, beängstigend und beklemmend wie in einem Albtraum beschreibt er eine Apokalypse, die glücklicherweise in Wirklichkeit nie stattgefunden hat. Aber hätte es dieses Inferno gegeben, hätte diese Beschreibung gezeigt, was sie bedeutet hätte:

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„Sie greifen die Eibia an!!“ der alte Evers gellte und zitterte wie ein schwarzer Mantel, ich griff in Käthenes und wir galoppierten schon, technische Nothilfe, hinter dem Wind in jene düstere Richtung, mit klatschenden Sohlen, über Zäune flankend; zwei Krähen rasselten entlang; eine wandte sich und schrie mich an: Kärrll! Kärrll!

Es ruckte und pochte wieder, und die Häuser fern lachten hell und irrsinnig aus allen zerklirrenden Gläsern. (...) Die Blitze hackten heute von unten nach oben; und jeder donnerte jupitern genug, wie er in seiner entsetzten Wolke verschwand!

Die lange Straße zuckte. Ein Baum wies mit mastigem Finger auf uns, taumelte mehr, und schloß den Zweigkäfig hinter uns. Wir kletterten über die rotkarierte Erde, durch flammengefütterte Ruinen, kauten mit Kiefern das rauchige Luftgelee, das Getümmel der Lichter stießen wir mit Handplatten beiseite, und unsere Füße taperten vor uns her, in quer geschnürten Schuhen, dicht umeinander. Die Lichthiebe zerkeilten unsere Fronten bis zur Unkenntlichkeit; der Donner kelterte Poren und Drüsen, und füllte den offenen Mund mit Knebellawinen: dann häckselten uns wieder die massigen Klingen.

Alle Bäume als Flammen verkleidet (am Sandberg): eine Hausfront stolperte drohend vor, mit seidenrotem Schaum vor dem Mauleck und flackernden Fensteraugen. Haushohe Eisenkugeln rollten Getöse um uns, schwärzliche, deren bloßer Schall schon tötet!
Zwei Eisenbahnschienen hatten sich losgerissen und angelten krebsscherig nach; die Zange drehte und klang im Bogen einmal liebevoll über uns weg (und wir rannten und duckten uns unter der langsamen Eisenbahnpeitsche). Von unten klopfte es herausfordernd an unsere Knochen; ein Röhrenmaul erschien und feuerte lässig Säuren.

Alle Mädchen mit roten Strümpfen; alle hatten Zinnober in den Eimern: ein langer Pulversilo skalpierte sich selbst, und ließ sein Blumengehirn übertrüffeln: unten beging er Harakiri, und wiegte oft den denkmaligen Leib über dem blutenden Schlitz, ehe er den Oberrumpf abwarf. (…) Hunderte Arme spritzten aus der Grasnarbe und verteilten steinerne Flugblätter, auf jedem stand „Tod“, groß wie ein Tisch.

Betongeier mit glühenden Eisenkrallen flogen mißtönig schreiend über uns hinweg, in großen Scharen (bis sie drüben in der Siedlung ein Opfer erspäht hatten und niederstießen). Eine zackengelbe Kathedrale stand brüllend in der violettgefransten Nacht: so flog der Dicke Turm in die Luft! Büschel lieberoter Leuchtkugeln wiegten sich über Bommelsen, und wir hatten zweifarbige Gesichter: die rechte Hälfte grün, die linke wolkiges Braun; der Boden tanzte unter uns weg; wir warfen die langen Beine im Takt; ein Lichtseil loopte wahnsinnige Kurven am Himmel: rechts bonbonglas, links tiefes Taumelviolett. Der Himmel erhielt die Gestalt einer Säge, die Erde ein roter lebhafter Teich.
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Arno Schmidt hat mit seinem Stil Maßstäbe gesetzt. Und man kommt nicht drumherum: Wer sich ein Bild machen will, muss ihn selbst lesen. Die Novellen "Schwarze Spiegel", "Aus dem Leben eines Fauns" und "Brand's Haide", die in der Benefelder Region spielen, sind dafür gut geeignet. Es lohnt sich.

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