Die USA von innen: Bomlitzer erzählt aus Washington D.C.

07/2020 - Martin Kleiber ist in Bomlitz aufgewachsen, war im Waldstadion Leichtathlet und ging in Bomlitz und Walsrode zur Schule. Schließlich zog der Beruf den Ökonomen in die USA, wo er in der Hauptstadt Washington arbeitet und mit seiner Familie lebt. Nach wie vor hält er den Kontakt: Zweimal im Jahr besucht er Deutschland und trifft sich mit Familie und Freunden. Als deutscher Europäer hat er einen besonderen Blick auf die USA und stellte beim FORUM an der Cordinger Mühle den Gästen die Situation der amerikanischen Gesellschaft vor. Sein Rat: "Eine gesellschaftliche Spaltung wie in den USA können Sie verhindern durch Austausch und Begegnungen wie z.B. hier beim FORUM."

Walsroder Zeitung vom 22.07.2020:
Die USA sind tief gespalten. Martin Kleiber lebt in Washington D.C. – in seiner alten Heimat Bomlitz referierte er über „Die USA vor der Wahl“.

15 Jahre ist es her, dass Martin Kleiber nach Washington D.C. zog. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler, der mit Frau und Kind in den USA lebt, wäre jedoch kein echter Bomlitzer, würde er nicht regelmäßig in seine Heimat zurückkehren. Auf Einladung des Forums Bomlitz referierte er jetzt auf der Wiese vor der Cordinger Mühle zum Thema „Die USA vor der Wahl“. Rund 60 Besucher hörten zu.

Wie konnte ausgerechnet Donald Trump Präsident werden? Wer das verstehen will, muss wissen, wie es um die US-Gesellschaft steht und wie die US-Präsidentschaftswahlen funktionieren. Kleiber erläuterte beides auf anschauliche Art. Dabei machte er deutlich: Die USA sind tief gespalten. Die Stimmung in den Vereinigten Staaten sei mies, sagte Kleiber und beschrieb die Einkommenssituation: Der Mittelwert liege bei 55.000 Dollar pro Jahr, viele US-Amerikaner kämen aber gerade mal auf 25.000 Dollar, andere dagegen verdienten 125.000, 225.000 oder mehr Dollar. Kleiber: „In keinem Land der westlichen Welt ist dieser Abstand vom Mittelwert so groß wie in den USA.“ Seine Prognose: Die Ungleichheit werde sich weiter verstärken. Stark gespreizt sei auch der Bereich Sozialleistungen, das mache sich während der Corona-Krise bemerkbar: Während die einen extrem hart fielen, landeten die anderen weich.

Im Lauf der Jahre, so Kleiber, habe in den USA in allen gesellschaftlichen Bereichen eine – ebenfalls weiter zunehmende – Polarisierung stattgefunden. Folge: „Es gibt immer weniger Orte, in der sich verschiedene Gesellschaftsschichten begegnen.“ Als Beispiel nannte er den öffentlichen Nahverkehr, der zum Unterschichten-Transportmittel werde, während reiche Menschen mit dem Auto führen. Zweites Beispiel sei der Schulsport: Der einst bei allen Gesellschaftsteilen beliebte Football entwickle sich zur Unterschichten- Sportart, Kinder aus einkommensstarken Haushalten belegten heute andere Sportarten.

Bei den Wahlen 2016 hätten die Menschen „die Schnauze voll gehabt von Leuten wie Hillary Clinton, die jeden Abend mit Leuten aus dem Establishment zusammensitzen“, so Kleiber. Donald Trump sei der „Anti- Eliten-Establishment- Kandidat“ gewesen. Sein Hauptmerkmal: Er sei „ein waschechter Populist“. Gleichwohl sei die Mehrheit der US-Bürger nicht für Trump gewesen. Ginge es nach absoluten Zahlen, wäre Clinton von den Demokraten und nicht Republikaner Trump US-Präsident geworden. Dass es anders kam, liege am US-Wahlsystem: „Es wird nicht der Präsident, sondern es werden Wahlmänner gewählt.“

Um das Prinzip der Wahlen weiter zu verdeutlichen, zeigte Kleiber eine Landkarte mit einem eingezeichneten US-Wahlkreis. Auffällig: die verwinkelten Grenzen. Kleiber nannte es „hingebastelte“ Wahlkreise. „Man sammelt Wähler ein, von denen es sehr wahrscheinlich ist, dass sie eine bestimmte Partei wählen.“ Bei 70 bis 80 Prozent aller Wahlbezirke sei deshalb schon vorher klar, wie die Wahl dort ausgehe. Spannend werde es lediglich in den übrigen Wahlkreisen.

Am 3. November sind wieder Wahlen. Wird Trump das Rennen machen? Oder wird Demokraten-Kandidat Joe Biden Präsident? Im Februar hätte Kleiber noch auf Trump getippt, doch dann sei Covid-19 über die USA hereingebrochen. Folge: Menschen verlören Job und Krankenversicherung – Kurzarbeit gebe es in den USA nicht. Kleibers neue Meinung lautete daher: „Ich glaube, Trump wird es dieses Mal nicht schaffen“, höchste politische Kreise hätten versagt. Über Biden sagte Kleiber: „Biden ist wenn überhaupt Übergangsverwalter“, er sei „kein starker Kandidat“ und einer aus dem „Old Establishment“.

In der Diskussionsrunde ging es unter anderem um die Frage, ob und wie weit Deutschland sich polarisiere. Einzelne Besucher beklagten, auch hierzulande werde zunehmend schwarz oder weiß gedacht, Grautöne fänden immer weniger Beachtung. Kleiber sagte, er sehe in Deutschland momentan noch keine Entmischung der Bevölkerung und keine Polarisierung so stark wie in den USA. Aber: „So etwas kann schleichend kommen.“

Ausdrücklich lobte er das deutsche Sozial- und Bildungssystem: Bomlitz sei Peripherie, dennoch gebe es hier im Gegensatz zu abgelegenen US-Dörfern öffentlichen Personennahverkehr. Und während in armen US-Gegenden das Bildungsangebot schlechter als in einkommensstarken Gegenden sei, hätten Schüler in Deutschland überall die gleichen Chancen: „Sie können in Walsrode aufs Gymnasium gehen und dann steht Ihnen die Welt offen.“ Kurzum: „Sie leben hier im Paradies!“

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