Eine Tür als Tagebuch aus der Arrestzelle
08/2020 - Bei Renovierungsarbeiten in einem ehemaligen EIBIA-Gebäude in Benefeld stießen die Eigentümer auf eine schmale und unscheinbare Tür. Sie sieht aus wie eine gewöhnliche Kellertür, wie man sie in älteren Häusern oft antrifft. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckten sie drei Texte in kyrillischer Schrift. Ohne zu wissen, was auf der Tür geschrieben ist, waren sie aber sicher, dass sie ein historisches Dokument vor sich haben. Privat gab es Kontakte zur Gedenkstätte Sandbostel, und so gelangte die Tür aus Benefeld 1998 in das dortige Archiv des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Stalag X B. Eine Gruppe vom FORUM fuhr nun nach Sandbostel und untersuchte das Exponat vor Ort.
Aus welchem Gebäude die Tür stammte, muss noch anhand der Größe und der Scharniere untersucht werden. Sehr wahrscheinlich gehörte sie aber zu einem Kellerraum, der während des Betriebs der EIBIA als Arrestzelle genutzt wurde. Hier befanden sich mindestens 1943 und 1944 russische und ukrainische Zwangsarbeiterinnen, die wegen "Widersetzlichkeit" eingesperrt wurden. Drei dieser Gefangenen hinterließen auf der Tür mit Bleistift Beschreibungen ihrer Haft.
Am 05.01.1944 schrieb die 17-jährige Ukrainerin Mila Stojanowa, warum sie in den Arrest kam: Sie arbeitete mehrere Tage mit einem verletzten Fuß und konnte nicht laufen. Der Weg von der Arbeitsstelle in der EIBIA war so lang, dass sie am Arbeitsplatz übernachtete, um ihren Fuß zu schonen und am nächsten Morgen direkt die Tagschicht zu beginnen. Schließlich kam sie nach der Arbeit in die Unterkunft, aber sie konnte nicht an ihre Essenmarken gelangen, weil ihre Baracke gerade desinfiziert wurde. Wieder musste sie hungrig schlafen gehen, auch wenn ihre Freundinnen mit ihr das wenige teilten, was sie hatten.
Als sie am nächsten Tag zu ihrem Platz kam, waren ihre Essenmarken gestohlen. Hungrig und verzweifelt fand sie Essenmarken aus der vergangenen 52. Woche, radierte die Wochennummer zur aktuellen und versuchte damit, Brot zu bekommen. Die Fälschung flog auf, und Mila wurde bestraft. Mila beschreibt den Vorgang mit sich in der dritten Person:
"Das Mädchen [Mila] stand da und wartete zitternd auf ihren Prozess. Kletka nahm aus ihrem Zimmer die Riemenpeitsche und schlug, wie es ihr gefiel. Sie müssten wissen, ob es leicht für Mila war, das auszuhalten oder nicht. Danach führte Kletka selbst sie hierher in das kalte Loch. Das ist alles, was ich von hier schreiben konnte, liebe Freunde. Was weiter passiert, weiß ich nicht, jetzt sitze ich noch hier."
Am Ende ihres Textes machte Mila sich Mut zum Widerstand: "Weine nicht und sei nicht traurig, liebes Kind, dass du in einem feuchten Keller sitzt. Sei Kletka und ihrer Freundin Walja dankbar. Es kommt noch die Zeit für Mila. Sei tapfer, und dein Herz sei heiß. Besser gehst du ins Grab als zusammen mit ihnen Schulter an Schulter."
Auch eine andere Gefangene mit unbekanntem Namen machte sich Mut und hatte Hoffnung, dass sie bald befreit werden würden: "Wer hier sitzen wird, lese und ergänze, schone nicht die Wände und die Türen, das geht in die Geschichte. Und wir werden bald frei sein, bald kommen unsere Falken, uns zu befreien, sie sind nicht weit, und sie haben uns ein gutes Beispiel gegeben."
Schließlich dauerte es noch bis zum 16. April 1945, als die britische Armee die Region Bomlitz und Tausende von Fremd- und Zwangsarbeitern vom Nazi-Regime befreite. Die Benefelder EIBIA-Tür überdauerte die Zeit und ist heute ein Zeugnis für das Leid, das viele Verschleppte ertragen mussten, und die Hoffnung, mit der sie es ertragen konnten.
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