Mit Else Hunt verstirbt eine wichtige Zeitzeugin

20160929 WZ Lesung Else Hunt02/2017 - Im Alter von 94 Jahren ist die ehemalige Jarlingerin Else Hunt gestorben. Sie war die letzte KZ-Überlebende in der Region, ihre Erlebnisse hatte Heinrich Thies im Buch "Wenn Hitler tot ist, tanzen wir" beschrieben. Im vergangenen Jahr machte Else Hunt beim FORUM gemeinsam mit dem Autoren eine letzte Lesung im mehr als voll besetzten Dorfgemeinschaftshaus Bomlitz. Das FORUM gedenkt einer tapferen, alten Dame, die immer wieder zum Durchhalten aufforderte und deren konkrete Geschichte vielen half, sich die NS-Diktatur hier vor Ort vorzustellen.

 

Walsroder Zeitung vom 21.02.2017: Die „Kämpferin“ Else Hunt ist tot. Die kleine Frau mit der großen Courage stirbt im Alter von 94 Jahren im DRK-Seniorenheim.

Sie war eine Kämpferin. Ihr Lachen war ansteckend und hat auch anderen Mut gemacht. Sie hat bewiesen, dass man noch Erfüllung und Freude im Leben finden kann, wenn Schweres hinter einem liegt. Else Hunt ist tot. Am vergangenen Freitag ist die kleine Frau mit der großen Courage im Alter von 94 Jahren im DRK-Seniorenheim in Walsrode nach schwerer Krankheit verstorben.

Zuvor hat sie bereits viele lebensbedrohliche Krankheiten überstanden. In Todesgefahr schwebte sie schon, als sie im Alter von 19 Jahren ins Konzentrationslager Ravensbrück kam. Das „Urteil“ entsprang der menschenverachtenden Rassenideologie der NS-Zeit und war zugleich ungeheuer lächerlich: Ihr wurde vorgehalten, ein Verhältnis mit einem polnischen Zwangsarbeiter zu haben.

Eine Aufforderung zum Tanz, ein unbedachter Spruch – das reichte 1941 schon, um interniert und ins Abseits gestellt zu werden. Dabei wollte sie eigentlich immer dazugehören – auch nach der Freilassung aus dem KZ, als sie in ihr Dorf Jarlingen zurückkehrte und zu ihrem Entsetzen von früheren Weggefährten verachtet wurde.

Noch Jahrzehnte später hat sie unter diesem Gefühl der Schande gelitten. Immer wieder hat sie geweint, wenn darauf die Rede kam, als sie mir von ihrem Leben erzählte, das ich dann in meiner Romanbiografie „Wenn Hitler tot ist, tanzen wir“ in seinen wesentlichen Teilen geschildert habe. Am Ende war sie stolz darauf, dass sie ihre Peiniger überlebte.

Bei meinen Gesprächen mit Else Hunt hat sich eine große Nähe zwischen uns entwickelt. Immer mehr Details hat sie mir im Laufe der Zeit anvertraut. Ein entscheidendes Detail allerdings hat sie mir und anderen Menschen in ihrem Umfeld bis zu ihrem Tode verschwiegen: Dass sie eine Tochter hatte. Im Jahre 1946 nämlich ist Else Hunt, die damals noch Else Meyerhoff hieß, Mutter geworden.

Unter dem Druck der Verhältnisse ist sie schon bald nach der Entbindung nach Celle gegangen, hat ihre Tochter bei ihren Großeltern zurückgelassen und später zur Adoption freigegeben. Über die Gründe kann man heute nur spekulieren. Vielleicht wollte sie nach ihrer Entlassung aus dem KZ nicht ein zweites Mal der Verachtung ausgesetzt sein – diesmal wegen eines unehelichen Kindes.

Für ihre Tochter muss es sehr schmerzlich gewesen sein, im Alter von fünfzehn Jahren zu erfahren, dass die eigene Mutter sie verlassen und zur Adoption freigegeben hat. Doch wir haben selbstverständlich kein Recht, Else Hunt daraus einen Vorwurf zu machen. Dass sie ihr eigenes Kind zurückgelassen hat, unterstreicht vielmehr, in welcher verzweifelten, schlimmen Verfassung sie sich in jener Zeit befunden haben muss. Es ist schön, dass sich Mutter und Tochter in den vergangenen Jahren wieder einander angenähert haben. Und es ist gut, dass Else Hunt trotz all der schweren Prüfungen und inneren Konflikte ihr Grundvertrauen und ihren Lebensmut nicht verloren hat – und bereit war, ihre Erfahrungen an nachwachsende Generationen weiterzugeben. Bei vielen Lesungen, auch an Schulen, hat sie ihr Publikum als temperamentvolle Zeitzeugin darüber informiert, was es hieß, ins KZ zu kommen. Noch im September vergangenen Jahres hat sie im überfüllten Dorfgemeinschaftshaus Bomlitz von ihren Erlebnissen gesprochen.

In ihrer Wohnung hing einst ein Fisch an der Wand, der auf Knopfdruck tanzte – begleitet von dem englischen Schlager „Don’t worry, be happy“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Sorge dich nicht, sei glücklich“. Für Else Hunt war dieser tanzende Fisch mehr als ein Scherzartikel. Er verkörperte ihr Lebensmotto.

Heinrich Thies

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